Steuerfreie Zuschläge bei Bereitschaftsdiensten
In verschiedenen Berufen ist es notwendig nachts oder am Wochenende zu arbeiten. Auch Bereitschaftsdienste sind in vielen Bereichen üblich, wie beispielsweise im Krankenhaus, in der Pflege oder in der Betreuung von Menschen mit Behinderung. Die Erschwernis durch das Arbeiten entgegen der biologischen Uhr gleicht der Gesetzgeber für Arbeitnehmer dadurch aus, dass für die Tätigkeit nachts sowie an Sonn- und Feiertagen in gewissen Grenzen steuerfreie Zuschläge gezahlt werden können. Doch von welcher Bemessungsgrundlage aus diese berechnet werden müssen, hat der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 11. April 2024 (VI R 1/22) präzisiert.
Steuerfreie Zuschläge bis zu 150 Prozent möglich
Steuerfrei sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, soweit sie für
- Nachtarbeit 25 Prozent,
- für Sonntagsarbeit 50 Prozent,
- für Arbeit an Silvester ab 14 Uhr und an den gesetzlichen Feiertagen 125 Prozent,
- für Arbeit an Heiligabend ab 14 Uhr, am 1. und 2. Weihnachtsfeiertag sowie am 1. Mai 150 Prozent
des Grundlohns nicht übersteigen. Treffen zwei Merkmale gleichzeitig zu, gilt der höhere Betrag.
Als Grundlohn für die Berechnung der maximal steuerfrei zahlbaren Zuschläge gilt dabei der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht. Er ist in einen Stundenlohn umzurechnen und mit höchstens 50 Euro anzusetzen. Ob und in welchem Umfang der Grundlohn dem Arbeitnehmer tatsächlich zufließt, ist für die Bemessung der Steuerfreiheit der Zuschläge unbeachtlich.
Hinweis: Die Zuschläge sind auch sozialversicherungsfrei, allerdings nur, soweit der Grundlohn 25 Euro je Stunde nicht übersteigt.
Bereitschaftsdienste sind begünstigt
Der zu entscheidende Fall betraf eine Förderschule mit angeschlossenem Internat für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen. Die in Wohngruppen lebenden Kinder und Jugendlichen werden von den Mitarbeitern auch in der Nacht betreut. Die Zeit der nächtlichen Beaufsichtigung wurde gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen als Bereitschaftsdienst behandelt.
Nach den arbeitsvertraglichen Regelungen wurde die Bereitschaftsdienstzeit nur zu 25 Prozent als Arbeitszeit angerechnet und bezahlt. Neben dieser Zahlung für den Bereitschaftsdienst erhielten die Mitarbeiter in den Nachtstunden einen Zuschlag in Höhe von 15 Prozent auf den laufenden regelmäßigen Arbeitslohn. Das monatliche Grundgehalt sowie die Vergütung für den Bereitschaftsdienst und die Zuschläge waren arbeitsvertraglich separat vereinbart worden.
Tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit ist jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers. Dazu gehört – wie beim Bereitschaftsdienst – beispielsweise auch das bloße Bereithalten einer tatsächlichen Arbeitsleistung außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit, wenn gerade dieses arbeitsvertraglich geschuldet ist.
Bemessungsgrundlage ist der Grundlohn – BHF ändert Rechtsprechung
Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, die den Beschäftigten gezahlten Zuschläge hätten über den Höchstgrenzen des Einkommensteuergesetzes gelegen und seien insoweit zu Unrecht steuerfrei ausgezahlt worden. Als Bemessungsgrundlage für die Steuerfreiheit der Zuschläge sei nicht das Tabellenentgelt (monatliche Grundgehalt), sondern lediglich das zusätzliche Entgelt für den Bereitschaftsdienst anzusetzen. Dies folge aus dem Urteil des BFH vom 27. August 2002 (VI R 64/96).
Der BFH urteilte jedoch anders und änderte damit auch seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2002. Es komme nicht darauf an, ob die Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen bereits durch den Grundlohn abgegolten oder zusätzlich durch besondere Bereitschaftsdienstentgelte vergütet wird. Die Höhe der Steuerfreiheit der Nachtarbeitszuschläge ist daher nicht nach dem (anteilig) für den Bereitschaftsdienst gezahlten Bereitschaftsdienstentgelt, sondern nach dem vollen auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelt (regelmäßiger monatlicher Arbeitslohn) zu bemessen. Denn nur das Tabellenentgelt ist der Grundlohn im Sinne des Einkommensteuergesetzes und damit die maßgebliche Größe, nach der die Steuerfreiheit der Zuschläge der Höhe nach zu berechnen ist. Eine andere „Bemessungsgrenze“ kennt das Gesetz nicht. Soweit sich aus der Entscheidung des BFH vom 27. August 2002 (VI R 64/96) anderes entnehmen lässt, hält der Senat hieran nicht länger fest.
Tätigkeit muss nicht belastend sein
Dass der Bereitschaftsdienst nach den arbeitsvertraglichen Regelungen nur angeordnet werden durfte, wenn zu erwarten war, „dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt“, steht dem nicht entgegen. Denn eine konkret (individuell) belastende Tätigkeit verlangt das Gesetz für die Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen nicht.
Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Vorschrift lassen Dahingehendes erkennen. Vielmehr schöpft das Gesetz den Ausgleich für die Störung des biologischen und kulturellen Lebensrhythmus der mit Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit verbundenen Arbeitszeiten abstrakt, generell und typisierend aus dem Umstand, dass der Dienst zu den dort genannten Zeiten geleistet und dies als in besonderer Weise belastend erachtet wird. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist daher, dass eine Tätigkeit wie die Bereitschaftsdienste zu den begünstigten Zeiten tatsächlich ausgeübt wird. Ob die zu diesen Zeiten verrichtete Tätigkeit den einzelnen Arbeitnehmer in besonderer Weise fordert oder ihm „leicht von der Hand“ geht, ist nicht entscheidend.
Hinweis: Unternehmen, die ihren Mitarbeitern für Bereitschaftsdienste (steuerfreie) Zuschläge zahlen, sollten gemeinsam mit ihrem steuerlichen Berater prüfen, ob sich im Einzelfall der steuerfrei zahlbare Anteil von Zuschlägen aufgrund der geänderten Rechtsprechung erhöht.